Manfred Dickert schreibt an Kardinal Karl Lehmann– „Offenheit und Übernahme der Verantwortung“
(cke). Die Einstellung der Missbrauchsstudie durch die katholische Kirche und die noch immer ausstehende Entschuldigung von Kirchenverantwortlichen aus dem Bistum Mainz gegenüber den Opfern, die vom ehemaligen Grebenhainer Pfarrer Wolfgang Grabosch sexuell missbraucht wurden, veranlassten Grebenhains Bürgermeister Manfred Dickert, einen Brief an den Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, zu schreiben. Der Rathauschef, in dessen Gemeinde sich ein Teil der widerwärtigen Taten ereigneten, fordert eine klare Entschuldigung der Kirche und einen ehrlichen Umgang mit den Missbrauchsfällen.
„Die Berichterstattungen in der Presse vom Januar zu dem mit einem großen Eklat gescheiterten Forschungsprojekt der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen machen zutiefst betroffen“, schreibt Dickert an den Kardinal. Zum Brief veranlasst sehe er sich durch die Haltung der katholischen Kirche, des Bistums, gegenüber den Missbrauchsopfern aus der Gemeinde Grebenhain und der umliegenden Dörfer im Einzugsbereich des von Pfarrer Grabosch geführten Dekanats. „Meine bisherigen Kenntnisse reichen nur bis zu einem Mitgefühl der Kirche mit den Opfern. Ihnen sind sicherlich die systematischen schweren Vergewaltigungen von Kindern und Jugendlichen unter raffinierter Ausnutzung der unangefochtenen Stellung von Grabosch in der Gemeinde bekannt.“ Nach der lokalen Berichterstattung hätten sich zwei Opfer an das Bistum gewandt, Dickert zitiert aus diesen Veröffentlichungen: „Spätestens seit dem Jahr 1999 wusste das Bistum sehr genau Bescheid – und tat nichts. Jedenfalls gelangten die Vorwürfe nicht bis zur Staatsanwaltschaft. Kernpunkt des seltsamen Vorganges: Damals wären die Taten noch nicht verjährt gewesen, Grabosch hätte noch zur Verantwortung gezogen werden können, war gesundheitlich wohl auch noch in einem anderen Zustand als zum Zeitpunkt des 2010 endlich eingeleiteten Ermittlungsverfahrens, als er dement in einem Seniorenheim lebte. Dieses Verfahren kam zehn Jahre zu spät und scheiterte an der Verjährungsfrist.
Dickert zitiert weitere Äußerungen zweier Opfer, die ihre Geschichte geschildert hatten: „Den Opfern hätte Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre keiner geglaubt“. „Wir hätten doch nur gehört: Erzähl so keinen Unsinn.“ Und: „Wir stoßen immer noch auf Unverständnis“, hätten beide übereinstimmend gesagt. Die Opfer hätten nach wie vor das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, dass sie einen angesehenen Seelsorger beschuldigen, zeigt sich Dickert in seinem Schreiben überzeugt.
„Für mich stellt sich heute, auch und gerade vor dem Hintergrund des gescheiterten Forschungsprojektes, die Frage, wie geht die Kirche wirklich mit den Opfern um, werden seelsorgerische Gespräche geführt, erfolgt eine Begleitung der Opfer und, ganz wichtig, wann erfolgt eine Entschuldigung der Kirche? Es drängt sich der Gedanke auf: Oder soll einfach der Deckel auf den Missbrauch gelegt werden?“, schreibt Dickert.
Pfarrer Grabosch sei von Lehmann und dem Bistum in die Gemeinde geschickt worden, um in dem Auftrag der Kirche als Seelsorger für die Gläubigen und die Gemeinde zu wirken, und sei zudem noch dreimal zum Dekan gewählt worden. „Ich halte es für geboten, dass die daraus ergebene Verantwortung auch getragen wird. Ebenso halte ich es für geboten, dass die Ihnen von der Staatsanwaltschaft übergebenen Ermittlungsakten öffentlich gemacht werden. Dies wäre der objektive Schritt und der Weg der Offenheit, ohne dass die Opfer sich erneut an die Öffentlichkeit wenden und sich offenbaren müssen. Ich bitte Sie eindringlich: Stellen Sie sich den Opfern, stellen Sie sich der schonungslosen Aufklärung und finden Sie auch klare Worte der Entschuldigung. Dies sind Sie den Opfern und der Glaubwürdigkeit der Kirche schuldig.“ Ein Skandal ist überdies auch, dass dem "Pfarrer" der vom Bischof verliehende Ehrentitel "Geistlicher Rat" nicht posthum entzogen worden ist.